Der Lehrer*
Frei nach Rainer Maria Rilke (1875–1926)
Sein Geist ist vom Vorüberzieh’n der Stunden
so stumpf geworden, dass ihn nichts mehr kränkt.
Ihm ist’s, als ob es nur noch „Stunden“ gäbe,
und vor und nach den „Stunden“ keine Welt.
Der müde Gang der schleppend schweren Schritte,
der durch die finstern Korridore hallt,
ist wie der Gang des Häftlings durch die Höfe,
wo hin und wieder eine Türe knallt.
Nur manchmal hebt der Vorhang sich der Brille
ein wenig – und die Welt stürzt auf ihn ein!
Da ist’s ihm fast, als ob er leben müsste!
Ein Gong ertönt – und wieder geht es los…
* LehrerInnen sind, wie in jedem allgemein sozial relevanten Text, natürlich wie immer mitgemeint.
H.P. Gansner, Genf (aus: Poesie-Agenda 2010, orte verlag, Schweiz)
Das Original:
DER PANTHER
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in dem betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf-. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.